Landpartie 1
Landpartie 1















Habt ihr eigentlich auch Lust diesen Sommer barfuß zu laufen? Mit den Füßen ganz direkt den Boden zu berühren und dieses aufmerksame, fast schon neugierig-kribbelige Gefühl in den Füßen zu spüren?
Das ist für mich der Inbegriff von Sommer!
Also, Schuhe aus, Schlappen an und los… und sobald man irgendwo ist, z.B. auf einer Wiese, am See oder im Garten, kommen die Schlappen auch noch aus und die Füße ins Gras oder auf die Erde. Das ist wunderbar!
Vor allem wenn wir mal bedenken, dass unsere Füße meistens den ganzen Tag in Schuhen und Socken verbringen. Egal welches Wetter ist... Eigentlich werden sie ja nur noch zum Duschen und Schlafen ausgezogen. Eigenartig, oder?...
Wir haben ja auch alle ganz unterschiedliche Füße und unsere sehr individuellen Füße haben natürlich auch ganz unterschiedliche Bedürfnisse. Und natürlich gibt es auch hier nicht den einzig wahren und richtigen Weg, aber vielleicht können wir mit ein bißchen Wissen über die Grundlagen und über unsere persönlichen Bedürfnisse ein wenig mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung für unsere Füße entwickeln. Sie tragen uns jedenfalls viele Wege durch unser ganzes Leben stützen beim Gehen und Stehen unser Körpergewicht und sind beim Laufen, Tanzen, Hüpfen extremen Belastungen ausgesetzt. Mit etwas Übung können wir sogar lernen mit unseren Füßen zu schreiben oder zu greifen.
Damit all das funktioniert braucht es ein komplexes Zusammenspiel von Muskeln, Gelenken, Bändern und Nerven.
In diesem Text möchte ich euch gerne ein wenig die Anatomie und Funktion unserer Füße nahebringen und euch ermutigen tatsächlich immer mal wieder die Schuhe auszuziehen. Und auf diese Weise eure Körperwahrnehmung zu vertiefen und zu beobachten, wie sich wache Füße so anfühlen und was sie vielleicht so mit euch machen…
An dieser Stelle noch ein wichtiger Hinweis:
Bitte seid beim Barfuß Laufen aufmerksam, damit ihr euch nicht verletzt.
Habt ihr bereits Verletzungen oder Erkrankungen an den Füßen, bitte nur ohne Schuhe laufen, wenn es sicher für euch ist.
Habt ihr durch Diabetes oder andere Beeinträchtigungen in den Empfindungen eurer Füße Probleme, ebenfalls nur mit größter Achtsamkeit barfuß gehen.
Betrachten wir nun doch mal diese faszinierende Anatomie unserer Füße etwas genauer. Sie ist nämlich ein wahres Meisterwerk der Statik, Balance und Polsterung.
Dieser anatomische Aufbau unterstützt uns bei der Aufrichtung, hilft darüber zu einem gesunden und starken Rücken, belastbaren und elastischen Knie- und Hüftgelenken, fördert unser sensorisches Erleben im gesamten Körper und stimuliert natürlich unser Gehirn auf vielfältige Weise.
Denn eine Belebung unserer neuralen Aktivität geschieht in der Regel durch komplexe Reize, mehrdimensionale Muskelarbeit, die mit einer kognitiven bewußten und unbewußten Verarbeitung ineinandergreift. All das geschieht quasi nebenbei, wenn wir barfuß laufen.
Und wie machen unsere Füße das denn nun?
Sie bestehen neben Knochen, Sehnen und Muskeln, aus einer Vielzahl von Rezeptoren. Diese Mischung von Strukturen ermöglichen uns eine präzise Wahrnehmung des Untergrundes. Wir bemerken schiefes Auftreten oder Unebenheiten sofort und passen unsere Bewegung augenblicklich den neuen Bedingungen an. Unser gesamter Körper reagiert auf die Rückmeldung von den Füßen und sorgt somit dafür, dass all unsere Gelenke und Muskeln inklusive der Wirbelsäule balanciert und auf eine gesunde Weise belastet werden.
Dieser Vorgang geschieht in der Regel unbewußt und automatisch. Niemand von uns denkt ja schließlich aktiv darüber nach, wie man einen Fuß vor den anderen setzt, wie wir unsere Balance anpassen, wenn wir irgendwo hoch oder runter gehen oder wie wir unsere Geschwindigkeit beim Laufen ändern.
Unsere bewußte Wahrnehmung von Bewegung fängt meist erst dann an, wenn wir etwas Neues lernen (z.B. Tanzschritte) oder wenn wir aus irgendeinem Grund aus dem Gleichgewicht kommen. Und das ist natürlich auch überaus praktisch, denn wenn wir andauernd über alles nachdenken müssten, dann würden wir wahrscheinlich selten irgendwo ankommen.
Tragen wir nun Schuhe, wird dieser Mechanismus beeinträchtigt. Natürlich haben wir alle gelernt in Schuhen zu gehen (ist ja auch nicht so schwierig (bis auf High-Heels) und hat natürlich auch viele Vorteile,z.B. Schutz!), aber es nimmt uns auch verschiedene sensorische Reize.
Z.B. passen sich die Schuhe meistens nicht so gut unseren Füßen an und verhindern dadurch ein gesundes Abrollen.
Das hat Folgen:
U.a. werden die Muskeln nicht mehr so effizient trainiert und die Bänder und Sehnen bilden sich zurück.
Das geht jedenfalls aus einer Studie von Daniel Lieberman, Professor für Biologie an der Harvard-Universität in Boston hervor. Er erforscht die Entwicklung des menschlichen Fußes und veröffentlichte zu dem Thema, Fußfehlstellungen, Verletzungen und Schmerzen des Bewegungsapparates, in der Januar-Ausgabe 2010 des Nature-Magazins seine Studie.
Übrigens kleiner Fun fact am Rande: regelmäßiges Barfuß laufen wirkt diesem Prozess entgegen…
D.h. der Gang ohne Schuhe stärkt unsere Muskeln, stabilisiert die Fußgewölbe und hält die Bänder und Gelenke flexibel. Und das sogar in unserem ganzen Körper!
Und natürlich ist es nicht möglich in unserer modernen Welt ständig barfuß zu laufen. Wahrscheinlich möchte man das auch gar nicht, denken wir nur an irgendwelche merkwürdigen Bahnhofsvorplätze oder öffentliche Toiletten…
Schuhe sind, trotz all der positiven Effekte des barfuß Laufens, eine sehr praktische Erfindung!
Nichtsdestotrotz könnten wir zumindest so oft wie möglich mal unsere Schuhe ausziehen und die Wirkung des barfuß Laufens erforschen.
Aber zurück zur Anatomie:
Kurz und übersichtlich:
Fußgelenke:
Die verschiedenen Gelenke im Fuß teilen sich unterschiedliche Aufgaben.
Aufgaben der Fußbereiche:
Fußstruktur:
Fußmuskeln:
Vier Muskelgruppen sorgen für das aktive Zusammenspiel im Fuß bei der Bewegung: Abstoßen, Aufsetzen, Stoßdämpfung und Abrollen.
Fußsohle:
Unsere Fußsohle fungiert insbesondere als Druckpolster. Das dicke Unterhautfettpolster ist durch spiralig angeordnete Trennwände (Septen) in einzelne Kammern unterteilt, genau wie bei einem sicheren Schlauchboot. Diese Kammern verhindern, dass das Fettgewebe bei zu starker Belastung zur Seite weggedrückt wird.
Fußfaszie:
Die Fußfaszie, auch Plantarfaszie oder Plantaraponeurose genannt, befindet sich an der Unterseite des Fußes und gibt der gesamten Fußsohle Halt und Stabilität. Diese Sehnenplatte verbindet das Fersenbein mit den Zehen und unterstützt das Verspannungssystem des Längsgewölbes.
Nervenenden:
Es befinden sich unzählige Nervenenden an unseren Füßen. Diese Rezeptoren sorgen für die Aufnahme und Verarbeitung von Reizen und liefern damit die Impulse für den gesamten Bewegungsapparat.
Glatte Böden, modernes Schuhwerk und Bewegungsmangel stören und verhindern diese Stimulation. Wenig Abwechslung, einseitige Beanspruchung, stundenlanges Sitzen, Gehen und Stehen lassen die Fußmuskulatur zusätzlich verkümmern.
Die Muskeln und die Haut des Fußes werden von drei Nerven versorgt:
Hier gibt es noch ein Video von „Barefoot Professor“ Daniel Liebermann (https://www.youtube.com/watch?v=7jrnj-7YKZE,) indem er erklärt wie der natürliche Gang des Menschen ohne Schuhe aussieht.
Wenn ihr Lust habt schaut es euch an. Es geht nur 6 Minuten.
Soviel zur Anatomie unserer Füße.
Und was bleibt für uns persönlich?
Ab und an mal die Schuhe auszuziehen und auf geeignetem Untergrund barfuß zu laufen, ist eine gute Idee und dient unserer Gesundheit.
Unsere Füße sind absolut ehrlich und geben uns sofort Auskunft, wenn etwas schief läuft im wörtlichen Sinne.
Barfuß laufen erdet uns und stimuliert unser sensorisches Empfinden auf physiologischer und psychologischer Ebene.
Bewegung im Freien mit nackten Füßen und im direkten Kontakt mit der Erde schafft eine Verbindung ins Leben und zu unserer Lebendigkeit als fühlende und mitfühlende Wesen.
Draußen können wir lernen uns dynamisch den wechselnden Bedingungen anzupassen und in Kontakt zu bleiben. Ganz in Sinne der Resilienz: wir schulen unsere psychische Widerstandskraft indem wir unser Verhalten an Veränderungen anpassen und modifizieren. Egal ob Wind, Sonne oder Regen es ist möglich sich zu bewegen und draußen zu sein.
In diesem Sinne und mit tiefer Dankbarkeit freue ich mich sehr auf euch und auf unsere gemeinsamen Stunden im Grünen!
Quellen:
Lieberman, D., Venkadesan, M., Werbel, W. et al. Foot strike patterns and collision forces in habitually barefoot versus shod runners. Nature 463, 531–535 (2010). https://doi.org/10.1038/nature08723
Lieberman,D., (2011), Department of Human Evolutionary Biology, Harvard University, Cambridge MA, What We Can Learn About Running from Barefoot Running: An Evolutionary Medical Perspective. American College of Sports Medicine
Holowka, N.B., Wynands, B., Drechsel, T.J. et al. Foot callus thickness does not trade off protection for tactile sensitivity during walking. Nature 571, 261–264 (2019). https://doi.org/10.1038/s41586-019-1345-6
The Barefoot Professor: by Nature Video, https://www.youtube.com/watch?v=7jrnj-7YKZE
Fuß, https://de.wikipedia.org/wiki/Fuß
Bilder:
https://www.gesundheitsinformation.de/wie-funktioniert-der-fuss.html
Beginnen wir nun also eine gemeinsame Entdeckungsreise zu dem Wunderwerk unserer Muskulatur und seiner Heilkraft.
Und schon mal kurz vorweg. Muskeln halten unser Herz-Kreislaufsystem fit, stärken unser Immunsystem und beeinflussen auf positive Weise die Funktionen unseres Gehirns – und das sogar im Schlaf!
Allerdings gelingt das nur, wenn wir uns regelmäßig bewegen. Denn das Bewegen wollen unsere Muskeln wirklich unbedingt tun.
Bisher hat man unsere Muskeln in der Wissenschaft eigentlich ausschließlich unter dem Aspekt der Leistungsoptimierung oder der Ästhetik (Bodybuilding o.ä.) betrachtet. Nun zeigen aber neuere Forschungsergebnisse sehr deutlich, dass unsere Muskulatur viel mehr kann und das auch tut.
Trainieren wir unsere Muskeln, dann beginnen sie ganz besondere Heilkräfte freizusetzen, die Myokine. Das sind hormonähnliche Botenstoffe, die anschließend über die Blutbahnen im gesamten Körper verteilt werden.
Die dänische Forscherin Bente Pedersen machte 2007 bei einer Studie diese bahnbrechende Entdeckung. Sie untersuchte welchen Einfluss Sport auf unser Immunsystem hat. Bei dieser Studie fand sie eine Substanz mit dem Namen Interleukin-6. Interleukine kannte man zwar schon und wußte, dass diese Substanz eine entzündungshemmende Wirkung im Körper freisetzt, aber bisher ging man davon aus, dass diese Stoffe ausschließlich in den Immunzellen produziert werden. Neu und absolut bahnbrechend war jetzt, dass unsere Muskelzellen bei Belastung diese Interleukine ebenfalls herstellen und dann im Körper verteilen.
Pedersen gab diesen, in unserer Muskulatur hergestellten Stoffen, den Namen „Myokine“. Der Name leitet sich aus dem griechischen „Mys“: Muskel und „kinema“: Bewegung ab.
Seit damals hat man über 600 weitere verschiedene Myokine entdeckt. Davon sind aber gerade erst einmal 10% erforscht.
Einige Myokine unterstützten z.B. Stoffwechselprozesse in der Leber, dem Gehirn und den Muskeln. Dadurch können Kohlenhydrate, Eiweiße und Fette besser vom Körper aufgespalten und verwertet werden.
Andere Myokine haben beispielsweise entzündungshemmende Eigenschaften, wodurch das Risiko für Krankheiten wie Rheuma, Osteoporose und Arthritis verringert werden kann.
Weitere Myokine haben eine positive Wirkung auf unsere geistige Leistungsfähigkeit und können dadurch Demenz, Depressionen u.ä. Erkrankungen vorbeugen.
Eine besondere Entdeckung machte ein Forscherteam aus Mannheim, Heidelberg und Hannover. Sie fanden das Myokin Musclin. Es schützt unmittelbar unser Herz und kann einer Herzschwäche vorbeugen (Herzschwäche bedeutet, dass die Pumpleistung des Herzens nachgelassen hat. Deshalb gelingt es dem Herzen nicht, den Organismus mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen).
Die Forscher haben allerdings auch festgestellt, dass dieses Myokin nicht im Herzmuskel selbst gebildet wird, sondern in den anderen Muskeln unseres Körpers, den sogenannten Skelettmuskeln. Von dort wird das Musclin über den Blutstrom ans Herz transportiert.
Das Musclin wirkt sogar zweifach: Bindet es an Herzmuskelzellen, so stärkt es deren Muskelkraft. Bindet es an Bindegewebszellen, so unterbindet es dort eine Fibrose (Verhärtung des Gewebes oder des ganzen Organs). Treiben wir jetzt also Sport und nutzten somit unsere Muskulatur, wird dieser Botenstoff vermehrt gebildet und trägt nun effektiv zu unserer Herzgesundheit bei.
Unsere Muskeln sind außerdem unser größtes endokrines (nach innen abgebendes) Organ, sie haben einen positiven Einfluss auf verschiedenste Körperfunktionen und auf unser Herz.
Zudem besteht eine enge Verbindung zwischen unseren Muskeln und unseren Emotionen. Unsere Muskulatur ist quasi neben unserem Gehirn das „emotionalste Organ“ (Prof.Dr.I. Froböse) unseres Körpers.
Sind sie in Bewegung und trainiert, dann tragen sie zu unserer Gesundheit bei, verlangsamen den Alterungsprozess und harmonisieren unsere Stimmungen. Und das tun sie dann sogar in ihrem Ruhezustand.
Sie sind für unser alltägliches Leben von großer Bedeutung und häufig realisieren wir diese Bedeutung erst, wenn wir unsere Bewegungsfähigkeit und damit auch unserer Unabhängigkeit verloren haben. Z.B. wenn wir uns mal den Fuß verstaucht oder ein Handgelenk gebrochen haben (oder natürlich auch Schlimmeres, was unsere Motilität einschränkt).
Aus meiner Sicht ist eine unserer wichtigsten Zukunftsaufgaben den Mangel an Bewegung und am „Draußen sein“nachhaltig in den Griff zu bekommen. Damit wir möglichst lange gesund, selbstbestimmt und mit Lebensfreude leben und älter werden können. Bewegung, Sport und Training machen fitte und leistungsfähige Muskeln und ermöglichen uns so dieses Ziel zu erreichen.
Wir alle werden übrigens mit 654 Muskeln geboren. Diese Muskeln sind Tag und Nacht für uns im Einsatz und in jedem noch so kleinen Muskel verbrennt unser Organismus in seinen Minikraftwerken der Zelle (den Mitochondrien) Zucker und Fette und produziert daraus Energie, die wir zum Leben brauchen. Und dabei ist bei weitem nicht jeder Muskel wie der andere. Für unsere unterschiedlichen Aufgaben und Aktivitäten finden sich in unserem Körper völlig unterschiedlich zusammengesetzte Muskeln.
Hier ein paar „Weltrekorde unserer Muskeln“:
- Der Stärkste: Kaumuskel → Gewichtskraft von 442 kg oder 4337 Newton
- Der Kleinste. Steigbügel → 5-7 mm
- Die Aktivsten: Augenmuskeln → 100000 Kontraktionen pro Tag und Nacht
- Der Fleißigste: Herzmuskel → pumpt ca. 5 l in Ruhe und bis zu 20 l bei Belastung pro Minute => das sind 8000 -10000 l pro Tag
- Der Schnellste: Augenringmuskel → 0,3 Sek. für einen Lidschlag
Ist das nicht wirklich wahnsinnig beeindruckend? Und das Meiste davon geschieht die ganze Zeit ohne unser bewußtes oder willentliches Beeinflussen.
Eine aktive und fitte Muskulatur hat natürlich auch Einfluss auf die Knochen, Sehnen, Bänder und Faszien unseres Körpers.
Ein chronisch gesteigerter Muskeltonus, der ja gewissermaßen einer permanenten Muskelkontraktion entspricht, kann zu umfassenden Durchblutungsstörungen führen. Findet keine oder nur eine unzureichende Durchblutung statt kommt es in der Folge zu einer verminderten Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen, sowie zu einem gestörten Abtransport von „Stoffwechselresten“. Dieses kann dann wiederum zu Schädigungen des Gewebes führen. In unserer auf Leistung ausgerichteten „Sitzwelt“ kommt das gar nicht so selten vor. Schulter-Nacken-Verspannungen durch einseitige Schreibtisch- und Computerarbeit ist nur eins von vielen Beispielen.
Regelmäßige Bewegungsreize (Kontraktionen, Dehnungen u.ä.) sorgen allerdings dafür, dass das muskuläre Gewebe seine schützende und stabilisierende Funktion langfristig erfüllen kann. Das, an die Muskulatur anschließende Gewebe, die Sehnen, Bänder, Knochen und das Bindegewebe, bleiben somit ebenfalls elastisch und formbar.
Vielleicht wisst ihr das ja schon, aber Muskeln können auch ausstrahlen.
„Wenn Muskeln sich verspannen oder immer schwächer werden, dann senden sie Signale aus. Die Reaktion darauf erfolgt jedoch nicht immer am Ort der Ursache, sondern manchmal ganz woanders. Die Muskulatur kann nämlich ihre Schmerzen in andere Regionen des Körpers ausstrahlen. Dann treten Beschwerden in Körperabschnitten auf, ohne dass dort direkt ein Problem vorliegt. So kann beispielsweise ein winziger Muskel im Bereich des Hüftgelenks, der M. psoas, Schmerzen im vorderen Oberschenkel, in der Leistenregion und im unteren Rücken hervorrufen. Ein solches Ausstrahlen erschwert natürlich massiv die Diagnose und Behandlung – oft sogar über längere Zeit – und kann sowohl Therapeut als auch Patient stark verunsichern. Es lohnt sich daher immer, näher hinzuschauen und die Muskeln intensiver in die Diagnostik von bestehenden oder gar chronischen Schmerzsymptomen einzubeziehen.“
Froböse, Ingo. Muskeln – die Gesundmacher: So bleiben wir fit, schlank und mental in Balance | Wie eine gesunde Muskulatur Körper und Psyche positiv beeinflussen können. (S.37-38). Ullstein eBooks. Kindle-Version.
- Froböse, I. (2023). Muskeln – die Gesundmacher. Berlin: Ullstein Buchverlage GmbH
- Exercise and Inflammation, Role of myokines in exercise and metabolism, Bente Klarlund Pedersen, Thorbjörn C. A. Åkerström, Anders R. Nielsen, and Christian P. Fischer
01 Sep 2007, https://doi.org/10.1152/japplphysiol.00080.2007
- Laube, W. (2023). Bewegungsmangel. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-67753-7_8
- Szaroszyk, M., Kattih, B., Martin-Garrido, A. et al. Skeletal muscle derived Musclin protects the heart during pathological overload. Nat Commun 13, 149 (2022). https://doi.org/10.1038/s41467-021-27634-5
Genickschmerzen
HWS-Syndrom
Halswirbelsäulensyndrom
Zervikalsyndrom
Sind übrigens häufig verwendete Synonyme für Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich. Vielleicht benutzt ihr diese Beschreibungen ja selber auch manchmal?
Die Auslöser für Schmerzen in dieser Region können sehr vielfältig sein.
Hier in diesem Rahmen gehe ich nur auf die am häufigsten auftretenden Ursachen ein.
Bei allem andern müsstet ihr sonst wahrscheinlich einen halben Roman lesen…
Vielleicht erst einmal vorweg einige Fakten. Nackenschmerzen sind ein weit verbreitetes Phänomen. Tatsächlich leiden 7 von 10 Menschen irgendwann in ihrem Leben an Schmerzen im Schulter-Nackenbereich.
Und die Ursachen für diese Schmerzen sind, wie bereits erwähnt, vielfältig.
Sie reichen von relativ harmlosen Verspannungen über Schäden an den Halsnerven bis hin zu irreversiblen Defekten an den Wirbelkörpern, den Bandscheiben oder den kleinen Facettengelenken. Auch rheumatische Krankheiten können zu Schmerzen in dieser Gegend führen.
Frauen sind tendenziell häufiger betroffen als Männer.
Nackenschmerzen können übrigens auch von weiteren Symptomen begleitet werden. Wie zum Beispiel Kopfschmerzen oder auch Taubheitsgefühlen oder anderen Missempfindungen in den Armen. Mitunter können diese Schmerzen auch weiter in den Rücken strahlen und in den meisten Fällen beeinträchtigen sie nachhaltig die Lebensqualität.
Falls ihr schon mal Nacken- und Schulterschmerzen hattet, dann könnt ihr das bestimmt bestätigen, oder?
Grundsätzlich ist es sehr empfehlenswert, wenn ihr sehr starke Schmerzen habt oder sie über einen längeren Zeitraum anhalten, einen Arzt zu konsultieren, um mögliche Ursachen abzuklären.
Auf jeden Fall solltet ihr zum Arzt, wenn ihr folgende Symptome wahrnehmt:
- nach einem Sturz oder Unfall, insbesondere, wenn Übelkeit, Erbrechen oder Schwindel hinzukommen
- die Schmerzen begleitet sind von motorische Ausfälle, Taubheitsgefühlen oder einem Kraftverlust im Arm oder in der Schulter,
- wenn ihr plötzlich unerklärliches Fieber oder Nachtschweiß entwickelt oder
- wenn ihr auf einmal massiv Gewicht verliert.
Allerdings denke ich, dass ihr das natürlich schon wisst! Aber der Vollständigkeit halber wollte ich doch darauf hinweisen.
Wie bereits erwähnt können die Ursachen für Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich unterschiedlicher Natur sein. Schauen wir jedoch nach der Häufigkeit der verschiedenen Ursachen, dann stellen wir fest, dass zu viel Sitzen, zu wenig Bewegung und Stress, im besondern (womöglich Stress im Sitzen), den größten Teil davon ausmachen.
Häufig entsteht hier ein ungünstiger Kreislauf, der sich leider auch noch gegenseitig verstärkt.
H. Tilscher et.al. (Ludwig-Boltzmann-Institut für konservative Orthopädie und Rehabilitation, Wien
2 ASTi Gesellschaft für Internationales Stressmanagement & Biofeedback & Coaching (ISMA Austria), Wien) kommen in ihrer Studie zu dem „Fazit für die Praxis, längeres statisches Sitzen und/oder stressbedingte Aktivierung durch angespannte Aufmerksamkeit und Konzentration führt – ohne geeignete Präventionsmaßnahmen – zu schmerzhaften Verspannungen, Kopf- und Augenschmerzen und Müdigkeit.“
Sehr interessant fand ich den Zusammenhang zwischen den Nackenschmerzen und den angestrengten Augen und infolge dessen einer Müdigkeit, die wiederum eine verstärkte Aktivierung zur Folge hat, damit man seine Arbeit, trotz Müdigkeit, erledigen kann, und durch die man dann erneut das Stresslevel erhöht. Ein ungünstiger Kreislauf, der sich gegenseitig verstärkt.
Dieses Ergebnis bestätigt auch ein weiteres Review zum Thema „Sitzen und Schulter-Nacken-Schmerzen“ von Dr. C. Frössler aus Trier, (Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin, Manuelle Medizin/Chirotherapie, Spezielle Schmerztherapie.)
Er empfiehlt eine rechtzeitige und ausreichende Sehschärfenkorrektur, die nicht der Eitelkeit zum Opfer fallen sollte und dann womöglich, aufgrund einer eingenommen Zwangshaltung, zu Beschwerden führen könnte. Des weiteren weist er nachdrücklich auf eine angepasste Arbeitsplatzergonomie hin und das „Bewegung die höchste Priorität genießt!“
Tatsächlich ist die Datenlage zu Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich eher dünn. Untersuchungen, bzw. Studien zu Beschwerden im Lendenwirbelsäulenbereich sind deutlich verbreiteter und dementsprechend gibt es hier eine Fülle von Empfehlungen zur Entlastung der LWS und die meisten ergonomischen Stühle, Tische usw. dienen auch vornehmlich der Rückengesundheit im untern Rücken.
Es gibt verschiedene Erklärungen dafür. Zum einen sind die volkswirtschaftlichen Kosten für Probleme im LWS Bereich deutlicher höher (Krankschreibungen, Frühberentung etc.) und zum anderen kann man Pathologien im Schulter-Nacken-Bereich schlechter nachweisen. Da es sich häufig um myofasziale (myo – Muskel, faszial – bindegewebig) Beschwerden handelt, die mit bildgebenden Verfahren kaum sichtbar zu machen sind.
Ein weiterer wichtiger Punkt sind, neben sehr theoretischen, biomechanischen Erklärungsansätzen, die davon ausgehen, dass aufgrund einer schlaffen Sitz- und Körperhaltung, der Schulter-Nacken-Bereich aus seiner physiologisch sinnvollen Balance gebracht wird, und in folge dessen die Beschwerden verursacht, auch die psychosomatischen Aspekte. Welche sich ebenfalls nur schwer wissenschaftlich nachweisen lassen.
Dennoch deutet vieles in der klinischen Praxis darauf hin, dass gerade bei länger anhaltenden oder chronischen Schulter-Nacken-Beschwerden, der psychosomatische Aspekt eine erhebliche Rolle spielt. So ist auch eine Empfehlung von Experten, diese Faktoren dringend zu berücksichtigen und bei der Therapieplanerstellung mit einzubeziehen.
Und was bedeutet das nun für uns ganz konkret?
Ich fasse die Ergebnisse noch mal kurz zusammen:
Schmerzen oder Beschwerden im Schulter-Nacken-Bereich können vielfältige Ursachen haben. Und Frauen sind häufiger betroffen als Männer.
Akute Schmerzen müssen dringend abgeklärt werden!
Die meisten Probleme entstehen durch ungünstige Körperhaltungen, Sehprobleme und Stress. Außerdem verstärken sich diese Faktoren gegenseitig. Dieser Kreislauf kann nur durch einen bewussten Umgang mit dem eigenen Körper durchbrochen werden.
Psychosoziale Aspekte von Schulter-Nacken-Schmerzen sollten unbedingt mit berücksichtig werden. Auch hier ist ein bewußter Umgang mit dem Körper, aber auch mit den eigenen Mustern und Verhaltensweisen notwendig.
Eine gute Arbeitsplatzergonomie ist sehr sinnvoll.
Stressreduktion, genügend Pausen und Entspannung helfen dabei schmerzfrei zu werden.
Und das Wichtigste von allem:
„Bewegung genießt die höchste Priorität!“
Journal of Health Monitoring · 2021 6(S3)
DOI 10.25646/7854
Robert Koch-Institut, Berlin
Prävalenz von Rücken- und Nackenschmerzen in Deutschland.
Ergebnisse der Krankheitslast-Studie BURDEN 2020
Manuelle Medizin 2007 · 45:330–335 DOI 10.1007/s00337-007-0538-5 Online publiziert: 3. August 2007
© Springer Medizin Verlag 2007
Sitzen und Schulter- Nacken-Schmerzen
Manuelle Medizin 2005 · 43:13–18 DOI 10.1007/s00337-004-0336-2 Online publiziert: 4. Februar 2005 © Springer Medizin Verlag 2005
Kopf-Nacken-Schulter-Arm- Beschwerden: Arbeitsplatzbedingt?